Von Kabelsalat und Ordnung
Folge 1 – Von Kabelsalat und Ordnung
Der Biergarten Rummelsburg, ein gastronomisches Glanzlicht inmitten der pittoresken Kulturlandschaft Erfurts, hat seine Popularität nicht nur seiner herausragenden Lage in der historischen Altstadt, sondern auch den golden knusprigen Schnitzeln und den verschiedensten Varianten von geschmackvollem regionalem Bier zu verdanken. Dieses ausnahmslos nachhaltige und liebevoll gehegte Restaurant, welches seit Generationen tiefe Spuren in den Geschichtsbüchern der eigenen Familie hinterlässt, beherbergt eine vielfältige Szenerie von vertrauten Gesichtern und spontanen Besuchern. Rummelsburg war eingehüllt in eine harmonische, pulsierende Atmosphäre, in der das Leben spielt und ungehobelter Charme herrscht.
Doch über diesen Räumen, abgegrenzt von lustigen Biergarten-Angeboten, liegt ein Hinterzimmer, kahl und unscheinbar, das in der Umarmung digitaler Unordnung gefangen ist. Ein wirres Geflecht aus Netzwerkgeräten und Kabeln dominiert das raumfüllende Durcheinander, welches unweigerlich Erinnerungen an eine Science-Fiction-Geschichte weckt.
Über die Jahre ist eine kleine Gruppe von Servern, Routern und Switches zusammengekommen. Sie stehen in einem alten Schrank, der sieht aus, als ob er jeden Moment bersten würde. Staub liegt schwer auf den Geräten und die Kabel schlängeln sich chaotisch kreuz und quer durch dieses digitale Inferno. Die Tür scheint ihre Bestimmung, diese Technowelt einzuschließen, längst aufgegeben zu haben – denn sie geht kaum noch zu. Die Belüftung ist völlig ineffizient, was die ständig überhitzenden Geräte bezeugen. Ordnung und Richtung fehlen in diesem unübersichtlichen Panorama, das, wenn man es betritt, unweigerlich Verwirrung stiftet.
Diese Unordnung ist zum Ärgernis mutiert, das beständig wächst und stillschweigend in den zwischenmenschlichen und betrieblichen Aktivitäten des Biergartens Rummelsburg Unruhe stiftet. Allen voran spürt Gregor, der geschäftsführende Manager, seinen steigenden Blutdruck aufgrund der anhaltenden Netzwerkstörungen und der damit einhergehenden Kundenbeschwerden. Vor Frustration und Verzweiflung griff er letztlich zum Hörer und wählte die Nummer von »InfinityBites«, einem bekannten IT-Support aus der Stadt Arnstadt, gleich um die Ecke von Erfurt.
Gregor, der Chef hinter dem Biergarten Rummelsburg, beschrieb Max die Situation:
»Unser Netzwerk ist am Rande des Chaos, wir können so nicht mehr arbeiten. Haben Sie Zeit, sich darum zu kümmern? Wir brauchen schnell Ihre Hilfe«
»Ich komm’ gern, lassen Sie uns gleich die Technik aufnehmen. Dann bin ich bestens vorbereitet, wenn ich komme. Passt Ihnen nächste Woche Dienstag?«
Im weiteren Gespräch bohrte Max Gregor mit Fragen, spezifisch und scharf wie ein Detektiv. In einer ersten Analyse durchbohrte er die Symptome und analysierten die recht unübersichtliche Infrastruktur. Es gelang ihm schnell zu ergründen, dass die veraltete und chaotische Ausstattung die grundlegende Ursache des Problems bildete.
»Ich empfehle Ihnen dringend eine Modernisierung«
»Was wird das kosten? Muss das denn sein?«
Max empfahl Gregor mit Nachdruck, eine Modernisierung in Angriff zu nehmen. Gregor stimmte letztlich widerstrebend zu.
Radikal gerüstet für das, was er zu sehen erwartete, betrat Max den Biergarten Rummelsburg. Gregor führte ihn in das oben gelegene Hinterzimmer, mit der gleichzeitigen Besänftigung, sich auf eine chaotische Begegnung vorzubereiten. Als Max seine Augen kurz darauf über die verworrene Szene schweifen ließ, dauerte es einen Moment, bis er seine neutrale Miene wieder einnahm.
»Das Problem ist größer, als ich dachte, planen Sie genügend Zeit ein!«
Geistesgegenwärtig zückte er sein Smartphone, um die existierende Anarchie festzuhalten. Gregor kommentierte die Aufnahmen mit der Historie der Geräte:
»Den letzten Router haben wir 2005 gekauft. Ist der noch nutzbar?«
Max rollte die Augen, während er in eine andere Richtung schaute: »Ich empfehle Ihnen etwas Neues. Der Router bekommt keine Backups mehr und ist damit nicht mehr sicher« antwortete Max, leicht grinsend im Gesicht.
Max hörte Gregor geduldig weiter zu, der sichtbar erleichtert wirkte, endlich jemanden gefunden zu haben, der Ordnung in das innovative, aber negativ behaftete Chaos bringen könnte.
Max stürzt sich ins Getümmel, verfolgt jedes Kabel sorgfältig, beschriftet beide Enden und zeichnet die Verbindungen in einem digitalen Notion Workspace auf. Er entwirrt Knoten, bündelt Kabel ordentlich und entfernt überflüssige Exemplare. Max tauscht beschädigte Teile aus, bringt einen Lüfter an und befestigt die Geräte ordnungsgemäß an der Wand. Er dokumentiert die Konfiguration ausführlich, inklusive Seriennummern, Zugangsdaten und Funktionen.
Das flackernde Neonlicht im Computerraum des Restaurants wirft beeindruckende Schattenspiele auf Max, der tief geduckt auf dem kalten Steinboden liegt und mit einer akkuraten Präzision die bereitliegenden Kabel studiert. Die dunklen Linien, die sich durch den gesamten Küchenraum ziehen, bilden ein verwirrendes Wirrwarr, doch Max, liest in ihnen wie in einem offenen Buch. Sein scharfer Blick erkennt eine Unregelmäßigkeit; ein zusätzliches Kabel schlängelt sich und führt zu einem verborgenen Raum hinter den vibrierenden Servern. Dort, versteckt in der Dunkelheit, findet er einen kleinen, unauffälligen Router. Seine Antennen verleihen ihm den Eindruck eines Roboterkäfers, der hellblau leuchtend in der Finsternis hockt.
Ein Gefühl von Neugier mischt sich mit steigender Beunruhigung und kribbelt im Inneren von Max. Die Identifikation des Routers zeigt, dass er kein Teil des bekannten Netzwerks des Restaurants ist. Doch bevor Max diesem rätselhaften Fund publik macht, beschließt er, alles erst einmal vor Gregor, dem ahnungslosen Restaurantbesitzer, geheim zu halten. Er kann den Skeptiker in sich nicht überwinden und schließt die Arbeit an der Optimierung erst mal vollständig ab. Der reibungslose Ablauf der Systeme des Restaurants muss schnellstmöglich wiederhergestellt werden.
Danach kehrt Max zu der neuen Entdeckung zurück. Bei genauerer Betrachtung erkennt er ein systematisches Muster. Der Router überträgt mit einer bemerkenswerten Regelmäßigkeit und mithilfe ausgefeilter getarnter Werkzeuge Daten an eine unbekannte Adresse. Zunächst nimmt man an, er sei zufällig dort platziert worden, doch bei genauerer Betrachtung entpuppt sich der Router als Teil eines gezielten Angriffes.
Max fühlt seine Befürchtungen bestätigt. Das unbeleuchtete Glühen des Routers ist ein Anzeichen für die böswillige Absicht dahinter. Er verbindet es mit den erschreckend zunehmenden Berichten in den Medien zum Thema Internetsicherheit und bekommt das Gefühl, dass dieser Router Teil eines viel größeren Plans sein könnte. Besorgt und gleichzeitig fasziniert vom Einfallsreichtum der Kriminellen, verschweigt Max auch diese Entdeckung vor Gregor.
Von vielen Dingen hatte er in den letzten Jahren eines gelernt, wenn er sich um die technischen Probleme in seinem privaten und geschäftlichen Umfeld kümmerte: Belaste niemals dein Gegenüber mit technischen Details, die irrelevant sind, die beängstigen oder die nicht verstanden werden. Ansonsten steigt der Aufwand grundlos exponentiell, ohne eine Lösung zu bieten.
Er wartet geduldig, bis die Schritte des letzten Gastes verstummt sind und Gregor den leeren Gastraum verlässt. Max entfernt den mysteriösen Router und löst jedes einzelne Kabel, das ihn mit dem Restaurant-Netzwerk verband, behutsam ab. Als hätte es ihn niemals gegeben, verwischt er jeden Hinweis auf den Router und hinterlässt nichts als eine Reihe sauberer Kabelverbindungen.
Zum Abschluss führt Max Gregor durch den nun aufgeräumten Serverschrank und erläutert seine Vorgehensweisen.
»Ich bin fertig, gibt es Kaffee?«
»Aber sicher. Setzen Sie sich zu uns.«
Gregor ist begeistert von der Verwandlung des Serverschranks und dankt Max herzlich für die Rückkehr zur Ordnung im langjährigen Durcheinander.
»Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass Sie durch dieses Chaos jemals durchsteigen«
In den folgenden Tagen verbesserte sich die Netzwerkperformance dramatisch, ohne weitere Einfrierungen oder Unterbrechungen. Max plant monatliche Wartungsbesuche, um die Kabel zu optimieren und sicherzustellen, dass die Systeme ordentlich organisiert bleiben. Er ist stolz darauf, die Entropie gebändigt und den Grundstein für das künftige Gedeihen des Restaurants gelegt zu haben.
Als er nach dem erfolgreichen Einsatz zu Haus ankam, dachte Max noch lange über das Chaos im Biergarten Rummelsburg nach. Er verglich es ohne es wirklich zu wollen, mit dem Chaos, was sein Umfeld durchzog. Mit wachsender Sorge beobachtet er, wie sich Teile davon in scheinbar akribisch konstruierte Filterblasen zurückziehen.
Einzelne Kammern getrennt wie Waben in einem Bienenstock, jede für sich ein Universum mit eigener Physik. Früher konnte jeder mit jedem angeregt über alles Mögliche diskutieren und Ansichten waren wie bunte Farbkleckse auf einer Leinwand. Heute jedoch steht oft Konfrontation an erster Stelle und wo es keine Akzeptanz gibt, sind Kompromisse unmöglich. Jeder hört nur die Echos seiner Kammer und Standpunkte werden endlos bestätigt, bevor sie chaotisch an Wände prallen.
Wenn Max versucht, Brücken zwischen diesen Welten zu schlagen und ausgewogene Position zu vertreten, wird er in Lager gezwungen, muss sich entscheiden. Freund oder Feind. I/0
Es besorgt Max zutiefst, denn eine pluralistische Gesellschaft lebt von Debatten und Kompromissen. Wie in allem Guten etwas Böses steckt und jeder Feind unter Bedingungen zum Freund werden kann, ist nichts nur GUT oder nur BÖSE zu gleichen Zeit. Zurückgezogen in Filterblasen wie Schnecken in ihr Schneckenhaus, droht die Spaltung weiter voranzuschreiten.
Eigentlich möchte Max dieses Chaos beseitigen und alle Filterblasen platzen lassen. Vielleicht muss er nur den ersten Stein aus der Mauer entfernen, um Licht in geschlossenen Welten zu bringen. Ein mühsamer Weg steht uns allen bevor, damit wir wieder zusammenfinden.