Digitale Diktatur? Wie Amazon den Buchmarkt revolutioniert – und ruiniert
Warum ich trotz allem bei KDP Select unterschreibe
Mein Buch »Die schwarz/weiß Verschwörung« ist als statische Version eigentlich seit ein paar Wochen „fertig“. Ich habe es in einem mir endlos erscheinenden Prozedere auch tatsächlich geschafft, mein Buch in allen möglichen Online-Shops für Bücher verfügbar zu machen.
Die wichtigsten davon finden Sie hier: https://1lr.de/it-buch
Den aber tatsächlich wichtigsten Marktplatz von allen habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben und genau das war ein großer Fehler – zumindest wenn man bedenkt, dass alles davor Zeitverschwendung war. Durch Amazons kostenlose Werbeprogramme habe ich in der Folge tatsächlich in kurzer Zeit doch eine -für mich- beachtliche Menge an Büchern „verkauft“. Für eine sehr kurze Zeit war das Buch nahezu überall gleichzeitig kaufbar und dieser Umstand hat mich doch etwas stolz gemacht. Schließlich ist es mein erstes Buch und ich habe sonst weder mit Buch schreiben oder dem Vermarkten etwas zu tun. Ich bin hier ein absoluter Noob.
Nachdem die ersten 70 E-Books (eher wenig, oder?) verkauft waren und die Leser ein paar Tausend Seiten gelesen hatten (man erfährt tatsächliche jede einzelne Seite, die gelesen wird), bekam ich plötzlich eine Mail direkt vom Amazon Kindle Support. Ich würde wohl gegen eine zentrale Bedingung des Amazon KDP Select Programms verstoßen und ich sollte umgehend mein E-Book aus den anderen Shops entfernen, denn Amazon verlangt Exklusivität – mindestens 90 Tage.
Die Voraussetzungen für Amazons KDP-Select Programm im Einzelnen:
- Exklusivität:
- Der E-Book-Titel muss exklusiv über Amazon vertrieben werden.
- Das bedeutet, dass man das E-Book nirgendwo sonst digital verkaufen oder zum Download anbieten darf (weder auf der eigenen Website noch auf anderen Plattformen).
- Mindestlaufzeit:
- man muss sich für eine Laufzeit von mindestens 90 Tagen verpflichten.
- Diese Laufzeit verlängert sich automatisch, wenn sie nicht vor Ablauf gekündigt wird.
- Gesamtes E-Book:
- Das komplette E-Book muss im Programm sein, nicht nur Teile davon.
- Urheberrecht:
- man muss die vollen Rechte an dem Werk besitzen oder die Erlaubnis haben, es exklusiv zu vertreiben.
- Öffentliche Domain:
- Werke, die sich in der öffentlichen Domain befinden, sind nicht für KDP Select zugelassen.
- Inhaltliche Richtlinien:
- Der Inhalt muss den allgemeinen Amazon-Richtlinien entsprechen (z. B. kein urheberrechtlich geschütztes Material ohne Erlaubnis, keine anstößigen Inhalte).
- Formatierung:
- Das E-Book muss den FDP-Formatierungsrichtlinien entsprechen.
- Preisgestaltung:
- Der Listenpreis muss innerhalb der von Amazon festgelegten Preisspanne liegen (normalerweise zwischen 0,99€ und 9,99€ für die meisten Märkte).
- Geografische Verfügbarkeit:
- man muss die Rechte haben, um es E-Book weltweit zu vertreiben.
- Keine Vorabveröffentlichungen:
- Das Buch darf nicht als Vorabveröffentlichung angeboten werden.
Was das Monopol verlangt…
Das bekommt das Monopol auch in den meisten Fällen, denn als vollkommen unbekannter Neuling unter den Autoren verkauft man entweder gar nicht oder bei Amazon. Das ist tatsächlich so, in der kurzen Zeit habe ich bei keinem der anderen Shops auch nur ein einziges Buch verkauft. Dieser Umstand ist kein Wunder, wenn man sich die Marktanteile anschaut, die Amazon auf dem E-Book Markt inzwischen hat:
1. Globaler Marktanteil:
Schätzungen zufolge kontrolliert Amazon weltweit etwa 67-80% des E-Book-Marktes. Diese Zahl kann in verschiedenen Ländern variieren.
2. US-Markt:
In den Vereinigten Staaten, dem größten E-Book-Markt, wird Amazons Anteil auf 70-80% geschätzt. Einige Quellen geben sogar einen Anteil von bis zu 83% an.
3. Großbritannien:
Im UK-Markt wird Amazons Anteil auf etwa 88-90% des E-Book-Verkaufs geschätzt.
4. Deutschland:
In Deutschland, dem zweitgrößten E-Book-Markt in Europa, hat Amazon einen geschätzten Marktanteil von etwa 58,86%. Hier ist der Markt etwas diversifizierter, mit starken lokalen Konkurrenten. Jedoch machen Amazon, Thalia, Weltbild und Hugendubel 91 Prozent des Marktes unter sich aus.
5. Andere Märkte:
In anderen Ländern variiert der Marktanteil, ist aber in den meisten Fällen dominant. In einigen Märkten, wie Japan oder China, ist der Anteil geringer aufgrund starker lokaler Konkurrenz.
Erkenntnis und Einsicht
Wenn man sich diese Zahlen anschaut und mit der Begründung für die Buchpreisbindung korreliert, komme ich unweigerlich zu der Erkenntnis, dass letztere insbesondere zu einer Abwrackprämie für Monopolisten mutiert ist. Die Interessen der Autoren stehen ganz klar am Ende der literarischen Nahrungskette. Wer erschafft noch mal das „Kulturgut Buch“?
In meinen Augen bleibt hier null Komma nichts von eben diesem „Kulturgut Buch“ übrig, es ist pure Gewinnmaximierung mit garantierten Gewinnen für die, die den Markt kontrollieren. Als Autor muss ich mich den Bestimmungen von Amazon in Gänze beugen. Ich darf das Buch in meinem Shop nicht günstiger anbieten, ja ich darf es während der Laufzeit von Amazon KDP-Select überhaupt nicht in meinem Shop oder an anderer Stelle anbieten.
Warum ist ein Autor heute gezwungen, bei Amazon zu verkaufen:
1. Marktdominanz
Angesichts Amazons überwältigenden Marktanteils von 67-80% im globalen E-Book-Markt können es sich viele Autoren schlichtweg nicht leisten, diese Plattform zu ignorieren. Die schiere Größe des potenziellen Leserkreises macht Amazon zu einem unverzichtbaren Vertriebskanal.
2. Sichtbarkeit und Algorithmus-Vorteile
Amazon bevorzugt KDP Select-Titel in seinen Empfehlungsalgorithmen. Bücher im Programm erhalten oft eine höhere Sichtbarkeit in den Suchergebnissen und Empfehlungslisten. Für viele Autoren kann dies den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen.
3. Zugang zu Kindle Unlimited
Die Teilnahme an KDP Select ist die einzige Möglichkeit für Autoren, ihre Bücher in Kindle Unlimited anzubieten. Dieses Abo-Modell stellt für viele Leser eine attraktive Option dar und kann eine bedeutende Einnahmequelle für Autoren sein.
4. Werbetools und Promotionsmöglichkeiten
KDP Select bietet exklusive Marketingtools wie kostenlose Buch-Promotionen und Countdown-Deals. Diese können entscheidend sein, um neue Leser zu gewinnen und die Verkaufszahlen zu steigern.
5. Höhere Tantiemen
In einigen Märkten bietet Amazon höhere Tantiemensätze für KDP Select-Titel, was besonders für Autoren mit niedrigeren Preisen attraktiv sein kann.
6. Netzwerkeffekte
Je mehr Autoren und Bücher bei KDP Select sind, desto attraktiver wird das Programm für Leser, was wiederum mehr Autoren anzieht. Dieser sich selbst verstärkende Kreislauf macht es für einzelne Autoren schwer, sich dem Trend zu widersetzen.
7. Fehlende gleichwertige Alternativen
Andere E-Book-Plattformen bieten oft nicht annähernd die gleiche Reichweite oder vergleichbare Tools. Dies verstärkt das Gefühl, dass Amazon die einzige viable Option ist.
8. Zeitaufwand und Komplexität
Die Verwaltung von Büchern auf mehreren Plattformen kann zeitaufwendig und komplex sein. KDP Select vereinfacht den Prozess, indem es eine zentrale Plattform für alles bietet.
9. Erfolgsgeschichten
Viele Erfolgsgeschichten von Self-Publishing-Autoren sind eng mit KDP Select verknüpft. Dies erzeugt Druck auf andere Autoren, dem gleichen Weg zu folgen, um ähnliche Erfolge zu erzielen.
10. Markterwartungen
Leser erwarten zunehmend, Bücher in Kindle Unlimited zu finden. Autoren, die nicht teilnehmen, riskieren, einen großen Teil ihrer potenziellen Leserschaft zu verlieren.
Guter Cop, böser Cop
Für mich ist das insgesamt kein wirkliches Drama, die Verkaufszahlen sind dafür einfach zu niedrig und ich muss halt dahin gehen, wo ich überhaupt etwas verkaufe. Mein Buch hat für mich ohnehin primär einen anderen Zweck als es maximal zu verkaufen. Angesichts dessen habe ich nach der ersten Mail bei meinem Distributor versucht, die Bücher aus allen anderen Stores wieder herauszunehmen. Diese 2 Klicks haben aber leider nicht zum Erfolg geführt. Genau das habe ich dann in der zweiten und dritten Mail von Amazon feststellen müssen.
In diesen wird von mir mehr Mitarbeit verlangt und ich sollte nun Screenshots von der Kommunikation mit meinem Distributor senden (krass, oder?), wo ich versuche, die Bücher aus den anderen Shops löschen zu lassen. Erstaunlicherweise kam die zweite und dritte Mail nahezu parallel und ich habe mich ein wenig wie bei „Guter Cop, böser Cop“ gefüllt. Denn eine Mail war sehr freundlich und man entschuldigte sich für die Umstände. Die andere Mail drohte mit Strafen bzw. Einschränkungen und zitierte Regeln aus Nutzungsbedingungen.
That’s the way it goes
Jetzt stehe ich an dem Punkt, wo ich per Mail bei meinem Distributor eindringlich darum betteln musste, die Bücher as fast as possible aus den anderen Shops wieder herauszunehmen. Mail vier und fünf von Amazon erwarte ich zeitnah und ich frage mich, ob ich komplett gecancelt werde, wenn es auch jetzt nicht schnell genug geht…
Inzwischen baue ich einfach weiter am »Buch der Zukunft«, einem Buch, das sich nach den Wünschen des Lesers interaktiv selbst schreibt und auch beim 100. Mal lesen neu erscheint. Vielleicht braucht es in absehbarer Zeit andere Monopolisten für Bücher. Interessiert?